Überhydriert - trinkst Du zu viel Wasser?
Dehydration ist ein teuflischer Gegner der, so werden wir jedenfalls regelmäßig gewarnt, an jeder Ecke lauert. Die empfohlene Flüssigkeitszufuhr am Tag liegt je nach Meinung zwischen 1,5 und 3 Litern am Tag. Bei sportlicher Betätigung entsprechend mehr. Aber kaum jemand beschäftigt sich mit der Frage, ob man auch zu viel Wasser trinken kann?
Statt Dehydration geht es heute also um Überhydration oder Hyperhydration. Wie sieht es also aus: je mehr desto besser? Oder schadet zu viel Wasser?
Die Stimmen der Mahner
Das erste Gebot: Du sollst viel trinken (?)
"Du sollst viel trinken" lautet einer der gut gemeinten Ratschläge, die wir vor, während oder nach dem Sport häufig zu hören bekommen. Also am besten schon vor dem Sport literweise Wasser trinken? Reichlich elektrolythaltige Sportdrinks vor dem Marathon?
Hot Yoga und Wikipedia
Der Wikipedia-Eintrag zu Hot Yoga, welches auch als Bikram bekannt ist, reiht sich hier nahtlos ein. So rät die beliebte Online-Enzyklopädie:
"Der Wasser- und Elektrolyteverlust, der durch die Hitze ausgelöst wird, kann zu Muskelkrämpfen und Kreislaufkollaps führen. [...] Es empfiehlt sich auf eine ausreichende Aufnahme von Wasser, Elektrolyten und ggf. Traubenzucker vor und während des Trainings zu achten."
Kein Wunder, schließlich werden die Übungen in einer Umgebungstemperatur von bis zu 40° C absolviert. Wer hier nicht kräftig ins Schwitzen gerät, der sorgt jedenfalls für Aufsehen in der Yogastunde. Ein Flüssigkeitsverlust, der uns akut mit Dehydration bedroht?
Marathonläufer sterben am Flüssigkeitsverlust
Von Marathonläufern liest man besonders krasse Beispiele, wie zu wenig Trinken sogar unser Leben bedroht. "Du kannst mehr als 3 Liter Schweiß pro Stunde verlieren", verkündet daher eine beliebte Marathon-Ratgeberseite im Netz. Deshalb könne der Flüssigkeitsbedarf bei bis zu 10 Litern am Tag liegen. Wer durstig sei, für den könne es schon zu spät sein! Am besten deckt man diesen scheinbar immensen Bedarf, indem man alle 15 Minuten am Wasserstand hält und sich die Iso-drinks in die Kehle schüttet. Oder?
Auch der englische Rundfunk BBC schreibt in der angesehenen Health-Rubrik:
"Dehydration is the biggest problem that marathon runners have to overcome."
So viele Experten können doch nicht falsch liegen?
Dehydration ist eine gehypte Gefahr
Sportler stirbt an Wasservergiftung
"Triathlet (30) stirbt, weil er zu viel Wasser trank" - so lautet der Titel eines Artikels, der im Hochsommer 2015 in der "Welt" erschien. Der Mann hatte wohl den Rat "viel zu trinken" angesichts der Wetterlage zu sehr beherzigt und war bei einer hochsommerlichen Temperatur von rund 40 Grad überhydriert. Er starb mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit an einem Hirnödem, nachdem er zu viel Wasser und zu wenig Salze zu sich genommen hatte.
Ein gefährlicher Zustand
Der hervorgerufene Zustand ist auch als "Hyponatriämie" bekannt. Dieses Wort beschreibt einen Mangel an Natrium, der vor allem durch exzessive Wasserzufuhr hervorgerufen. Diese verdünnt die Körperflüssigkeit und die aus der Biologie bekannte Osmose tut ihr Übriges. Die Symptome sind Kopfschmerzen, Schwindel oder Erbrechen.
Unser Körper hat sich selbst gut im Griff
Durst & Urin
Unter normalen Bedingungen müssen wir uns über die Flüssigkeitszufuhr gar keine Gedanken machen. Unser Körper regelt das selbst für uns.
Wenn wir zu viel Flüssigkeit verlieren und uns die Dehydration droht, meldet sich unser Gehirn und signalisiert uns: "Du musst etwas trinken!" Wir löschen unseren Durst und fühlen uns nicht mehr durstig. Umgekehrt scheidet unser Körper zu viel zugeführte Flüssigkeit wieder aus. Diese landet als Urin in der Toilette.
Von Medien & Lobbyarbeit
Klar ist auch: niemand liest gerne Artikel in denen steht: "Dein Körper hat seinen Wasserhaushalt selbst ganz gut im Griff, höre auf Deine Intuition". Das ist keine Schlagzeile. Eine Schlagzeile ist: "Triathlet stirbt an Wassermangel". Das bringt Auflage und Leser.
Manche sehen auch die mächtige Lobby hinter der Dehydrations-Panikmache. Die Elektrolytdrinks der Hersteller verkaufen sich sicherlich besser, wenn fleißig vor der Dehydration gewarnt wird. Ein bekannter Mineralwasserhersteller macht nicht umsonst Sponsoring für Laufevents und Radrennen. Und die Versorgungsstände beim Marathon? Werden natürlich auch "großzügig" finanziert von großen Sportdrink-Herstellern.
Fazit
Die goldene Mitte zu finden ist beim Trinken ebenso wichtig wie beim Essen und in anderen Lebensbereichen. Es gilt nicht "je mehr desto besser". Seit unserer Kindheit wird uns mit gut gemeinten Ratschlägen eingebläut, dass unser Hauptfeind beim Sport die Dehydration sei. Mindestens ebenso groß ist aber eine stille Gefahr, über die deutlich seltener gesprochen wird: Überhydration. Lerne wieder, auf Deinen eigenen Körper zu hören - Du wirst belohnt werden!
Mehr zum Thema kann fundiert und gut geschrieben bei Springer Medizin nachgelesen werden.
Ebenfalls empfehlenswert snd diese Artikel in der New York Times: (1) No, You Do Not Have to Drink 8 Glasses of Water a Day und (2) How Much Water Should We Drink Every Day?